Bildung ist ein sehr zentrales und wichtiges Thema


25.02.22 - Ein Interview mit Rémy Hübschi, stellvertretender Direktor und Leiter der Abteilung Berufs- und Weiterbildung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).



Herr Hübschi, im vergangenen Dezember wurden Sie von Bundesrat Guy Parmelin zum stellvertretenden Direktor des SBFI ernannt. Wo sehen Sie die Herausforderungen in dieser neuen Position?

Rémy Hübschi:
Bildung, Forschung und Innovation sind sehr wichtig für die persönliche Entfaltung der Individuen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Unser Staatssekretariat versteht sich dabei als Brückenbauer. Unsere Rolle ist es beispielsweise, das Bildungssystem in Zusammenarbeit mit den Kantonen, der Wirtschaft sowie weiteren Organisationen zu stärken und seine Qualität weiterzuentwickeln. Dabei geht es unter anderem darum, Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu antizipieren und die Berufsbildung zusammen mit den Verbundpartnern fit für die Zukunft zu machen.

Bis anhin waren Sie Leiter der Abteilung Berufs- und Weiterbildung. Was werden in Zukunft Ihre Hauptaufgaben sein?
In erster Linie bin und bleibe ich weiterhin zuständig für den Berufs- und Weiterbildungsbereich. Zwei spannende Themenbereiche, für welche ich mich auch weiterhin vollumfänglich einsetzen werde. Neu übernehme ich die Stellvertretung bei Abwesenheit unserer Staatssekretärin Martina Hirayama. An die Funktion dieser Stellvertretung sind auch Mandate geknüpft, wie beispielsweise das Präsidium der Eidgenössischen Berufsbildungskommission EBBK.

Welchen Stellenwert sehen Sie für die Berufs- und Weiterbildung in der Bildungslandschaft Schweiz?
Ich habe es einleitend schon erwähnt: Bildung ist ein sehr zentrales und wichtiges Thema für ein rohstoffarmes Land wie die Schweiz. Und die Berufs- und Weiterbildung hat dabei einen festen Platz in unserer Bildungslandschaft. Die berufliche Grundbildung ermöglicht den Jugendlichen mit über 230 zur Wahl stehenden Lehrberufen den Einstieg in die Arbeitswelt und sorgt für den Nachwuchs an qualifizierten Fach- und Führungskräften. Die höhere Berufsbildung baut auf der beruflichen Erfahrung auf und kombiniert Unterricht und Berufspraxis. Zudem fördert das SBFI die Weiterbildung und das lebenslange Lernen in ihrer ganzen Breite. Die Stärke unseres Landes ist es, dass wir über einen breiten Mix an topausgebildeten Fachkräften verfügen.

Und in der Bildungspolitik?
Unsere Richtschnur ist die Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation. Alle vier Jahre legt der Bundesrat dem Parlament die BFI-Botschaft vor. Darin wird Bilanz über die laufende Periode gezogen, und es werden die Ziele und Massnahmen der neuen Förderperiode festgelegt. Für die Jahre 2021–2024 beantragte der Bundesrat ein Finanzvolumen von 28 Milliarden Franken. Im Bereich der Berufs- und Weiterbildung verfolgen wir folgende Prioritäten: Der Bund unterstützt zusammen mit den Kantonen und der Wirtschaft die Ausbildung von praxisorientierten Fachkräften. Wir fördern innovative Projekte, die die Berufsbildung für den digitalen Wandel und für das lebenslange Lernen fit machen. Zudem setzt sich der Bund für eine Erhöhung der Beteiligung an Weiterbildung ein. Gemeinsam mit den Kantonen fördern wir Angebote im Bereich der Grundkompetenzen von Erwachsenen. Der Bund unterstützt auch direkt Weiterbildungen, die Erwerbstätigen helfen, den grundlegenden Anforderungen der Arbeitswelt zu genügen und mit dem technologischen Wandel Schritt zu halten.

Die Bildungslandschaft entwickelt sich dauernd. Wie reagieren Sie darauf?
Mit Herausforderungen umgehen, das kann unsere Berufsbildung. Und das nicht erst seit gestern. Denn die Berufsbildung wird seit jeher von den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft geprägt. Sie zeichnet sich durch Arbeitsmarktorientierung und Anpassungsfähigkeit aus. Unternehmen und Individuen sind so in der Lage, sich an veränderte Umstände laufend anzupassen. Das heisst, alle beruflichen Grundbildungen werden auf Initiative der Wirtschaft entwickelt und mindestens alle fünf Jahre auf wirtschaftliche, technologische, ökologische und didaktische Entwicklungen hin überprüft und angepasst. Auch die Bildungsangebote und Abschlüsse der höheren Berufsbildung werden regelmässig überprüft und angepasst. Wir gehen aber noch einen entscheidenden Schritt weiter: «Berufsbildung 2030» ist die gemeinsame Initiative von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt. Ihr Ziel ist, Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu antizipieren und die Berufsbildung fit für die Zukunft zu machen. Die Umsetzung einzelner Massnahmen erfolgt unter Federführung des zuständigen Verbundpartners. Seit Ende 2018 wurden von Bund, Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt bereits rund 30 Projekte lanciert. Das Projekt «TOP-Ausbildungsbetrieb» beispielsweise entwickelt ein branchenübergreifendes Weiterbildungssystem für Betriebe und die in der Ausbildung von Lernenden engagierten Personen. Ziel ist, im Betrieb die Attraktivität der betrieblichen Bildung zu erhöhen.

Wie sehen Sie die zukünftige Aufgabenteilung zwischen den Verbundpartnern in der Berufsbildung (SBFI, Kantone, OdA)? Wo sehen Sie die grössten Veränderungen darin?
Unsere Berufsbildung ist vor allem auch dank der Verbundpartnerschaft ein Erfolgsmodell: Bund, Kantone und Organisationen der Arbeitswelt. Sie alle nehmen unterschiedliche Rollen wahr und erfüllen wichtige Aufgaben für das Funktionieren der Berufsbildung. Das Berufsbildungsgesetz ermöglicht den Verbundpartnern einen erheblichen Handlungsspielraum, welcher grundsätzlich auch geschätzt wird. Allerdings ist unser Berufsbildungssystem sehr von der Kompromissbereitschaft und Konsensfähigkeit der involvierten Akteure abhängig. Wenn die einzelnen Beteiligten nicht genügend Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeigen, besteht die Gefahr einer Blockade. Im Zuge der Umsetzung der Initiative «Berufsbildung 2030» hat sich gezeigt, dass die Struktur und damit die Zusammenarbeit unter den Verbundpartnern mit Blick auf die Zukunft optimiert werden kann: Die Gremien sollen einerseits besser aufeinander abgestimmt werden. Andererseits geht es darum, Rollen und Entscheidungsprozesse in der Berufsbildung klarer und transparenter zu gestalten. Diese neue Gremienstruktur haben wir 2021 eingeführt.

Agrotec Suisse als Berufsverband muss zur Kenntnis nehmen, dass je länger je mehr schulisch starke Schulabgänger den akademischen Bildungsweg wählen. Für technisch hochstehende Berufe wie die unseres Verbands fehlen diese jungen Leute. Auf welcher Ursache basiert dieser Trend aus Ihrer Sicht?
Jugendliche entscheiden sich nach der obligatorischen Schule für eine berufliche Grundbildung oder eine Allgemeinbildung. Die Entscheidung für den einen oder den anderen Bildungstyp wird durch verschiedene Faktoren geprägt. Wichtig dafür sind beispielsweise die schulischen Fähigkeiten und die soziale Herkunft, aber auch das Bildungsangebot vor Ort. Dieser «Kampf» um Talente ist in vielen Branchen bekannt. Die Organisationen der Arbeitswelt haben die Herausforderung erkannt und Massnahmen eingeleitet. Ich denke beispielsweise an die verschiedenen Lehrstellen-Kampagnen oder an die Auftritte an Berufsmessen. Auch wir seitens Bund sind aktiv. Wir haben heute ein attraktives Berufsbildungssystem, das Top-Karrierewege bietet. Seit 2018 werden Absolvierende von Kursen, die sich auf eine eidgenössische Prüfung vorbereiten, finanziell unterstützt. Wir pflegen zudem den erfolgreichen schweizerischen Bildungs-Mix. Das heisst, wir spielen die Bildungswege nicht gegeneinander aus, weil wir wissen, dass wir sowohl exzellente Hochschulen wie auch eine starke Berufsbildung brauchen. 

Welche Anreize können Sie schaffen, um die Weiterbildung für Fachleute und Betriebe attraktiver zu machen?
Die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften liegt im ureigenen Interesse der Wirtschaft. Die Unternehmen sichern sich so ihren Berufsnachwuchs und stellen zugleich sicher, dass die Angestellten ihr Fachwissen weiterentwickeln können. Die Beteiligung der Bevölkerung in der Schweiz an Weiterbildung ist europaweit eine der höchsten. Grund dafür ist, dass die Unternehmen die Aus- und Weiterbildung stark unterstützen. Zudem stehen diverse Fonds für die Finanzierung von Weiterbildungen zur Verfügung. Dank des durchlässigen Bildungssystems sind Wechsel in der Tätigkeit und lebenslanges Lernen gut möglich. Bund und Kantone tragen dazu bei, dass sich Personen ihren Fähigkeiten entsprechend weiterbilden können. Der Bund fördert beispielsweise die Grundkompetenzen Erwachsener. In der BFI-Periode 2021–2024 stehen dafür knapp 43 Millionen Franken zur Verfügung. Ausserdem hat der Bundesrat im Rahmen der Förderung des inländischen Arbeitskräftepotenzials eine kostenlose Standortbestimmung, Potenzialabklärung und Laufbahnberatung für Erwachsene über 40 Jahre beschlossen. Das Programm «viamia» wird seit Anfang Jahr gesamtschweizerisch angeboten.

Das SBFI arbeitet eng mit Organisationen der Arbeitswelt und anderen Institutionen zusammen. Wie findet dieser Austausch statt?
Der Austausch findet sehr unterschiedlich statt: an Sitzungen, Konferenzen, im Rahmen der Berufsentwicklung oder an Veranstaltungen wie der Herbsttagung. Eines fällt mir dabei immer wieder auf: das Herzblut aller Beteiligten. Ich habe in meiner Funktion schon mit sehr vielen Vertretern innerhalb der Berufsbildung zu tun gehabt. Dabei habe ich erlebt, wie engagiert sich diese Personen für die Berufsbildung einsetzen. Es gibt unzählige Beispiele, die aufzeigen, dass wir nur dank verbundpartnerschaftlichen Lösungen vorwärtsgekommen sind. 

Das Zusammenspiel zwischen den Verbundpartnern ist vermutlich sehr anspruchsvoll. Wie gelingt es Ihnen, die unterschiedlichen Ansprüche zusammen zu bringen?
Wichtig sind der Dialog und das Systemwissen. Es geht in der Berufsbildung darum, die Bedürfnisse und Möglichkeiten der anderen zu kennen. Für uns ist beispielsweise wichtig zu wissen, was die OdA und Unternehmen für Erwartungen an den Bund haben. Zudem ist unser Berufsbildungssystem sehr von der Kompromissbereitschaft und Konsensfähigkeit der verschiedenen Verbundpartner abhängig. Wenn die einzelnen Beteiligten nicht genügend Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeigen, besteht die Gefahr einer Blockade. Daran müssen wir stets arbeiten, um weiter erfolgreich zu sein.

Agrotec Suisse tritt als Fachverband und OdA für die Interessen der Berufe Landmaschinen-, Baumaschinen- und Motorgerätemechaniker sowie der Hufschmiede ein. Welche Beziehung haben Sie persönlich zu diesen Berufen? Wo sehen Sie sie in zehn oder zwanzig Jahren?
Wissen Sie, ich bin auf dem Land aufgewachsen und damit schon früh in Kontakt gekommen mit Traktoren, Baumaschinen oder der Arbeit mit Nutz- und Arbeitstieren. Mich habe das immer sehr interessiert und fasziniert beobachtet. Unsere Berufe sind ursprünglich stark in der Tradition verwurzelt, aber ebenso in die modernsten Hightech-Entwicklungen eingebunden. Ich bin da sehr zurückhaltend in Sachen Prognosen. Und es ist ja glücklicherweise auch nicht die Rolle von Bundesbern zu sagen, wie es in den Branchen weitergeht und was die Unternehmen konkret brauchen. Unsere Berufsbildung zeichnet sich durch Arbeitsmarktorientierung aus. Die Wirtschaft überprüft, wo es aufgrund der wirtschaftlichen, technologischen, ökologischen und didaktischen Entwicklungen welche Anpassungen braucht. An diesem Erfolgsmodell wollen wir nichts ändern.

Zur Person
Rémy Hübschis Werdegang führte von einer kaufmännischen Grundbildung zu einem Master of Science in Economics der Universität Bern. Nach seinem Studium begann Hübschi seine Laufbahn in der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Mittlerweile blickt er auf 15 Jahre Erfahrung in der Bundesverwaltung zurück. Seit 2018 ist er als Vizedirektor im SBFI zuständig für den Berufsbildungsbereich und die Umsetzung des Weiterbildungsgesetzes. Rémy Hübschi ist verheiratet und hat zwei Kinder. Zu seinen Hobbys zählen Sport, Natur, Lesen und Freunde.

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